Die Irrtümer des Hans-Hermann Hoppe – Strategien der Befreiung?
Published on “Die Achse des Guten” (www.achgut.de), November 21, 2005
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Reflexionen zu einem Seminar an der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach
Von Bijan Nowrousian und Oliver Marc Hartwich
Wenn man sich lange Zeit mit Ideen beschäftigt, dann bleibt es nicht aus, dass man irgendwann einmal die Köpfe hinter diesen Ideen kennen lernen möchte. Genau so erging es uns mit Hans-Hermann Hoppe: Viel hatten wir schon von ihm und über ihn gelesen und gehört. In Zeiten des Internet konnten wir zudem einige seiner Vorlesungen online mitverfolgen. Aber die persönliche Begegnung, die Möglichkeit, ihn direkt und ungefiltert zu erleben, war für uns die Motivation, nach Gummersbach zu einem dreitägigen Seminar mit ihm zu kommen. Drei Tage mit Hans-Hermann Hoppe sollten uns einen tieferen Einblick in seine Sicht der Welt geben, so erhofften wir uns. Und in der Tat, wir haben einen Einblick in Hoppes Welt bekommen, auch wenn er vielleicht anders als erwartet ausfiel. Am Ende dieser drei Tage waren wir der Meinung, dass Hoppes Libertarismus genau das Gegenteil des Liberalismus ist und eine Gefahr für die Freiheit darstellt. Wir werden dies im Folgenden begründen.
Niemand würde sich wundern, wenn Hoppe, der bekennende libertäre Anarchokapitalist, von Sozialisten oder Kommunisten kritisiert würde, sollten diese denn jemals von ihm gehört haben. Dies ist aber vergleichsweise unwahrscheinlich, da Hoppe außerhalb radikalliberaler und libertärer Kreise kaum jemandem bekannt ist, auch wenn seine Anhänger dies gerne glauben mögen. Insofern sollten wir vielleicht zu Beginn eine Bestimmung unserer eigenen Position vornehmen, damit die folgende Kritik an Hans-Hermann Hoppe besser einzuordnen ist.
Wir bekennen uns zu den Prinzipien des klassischen Liberalismus, zur Philosophie von Denkern wie Locke, Smith, Hume, Mises und Hayek. Die Freiheit des Individuums und sein Recht auf Eigentum sind die Grundpfeiler ihres wie unseres Denkens. Aber gerade aufgrund dieser Überzeugung haben wir große Bedenken hinsichtlich der von Hoppe entwickelten und vorgetragenen Weltsicht. Denn obwohl Hoppe vorgibt, für eben die von uns als so zentral und fundamental angesehenen Werte einzutreten, halten wir seine Vorgehensweise weder für angemessen noch zielführend. Da Hoppe sich wiederum ausdrücklich die Klassisch-Liberalen als Zielscheibe seiner teilweise heftigen Angriffe gewählt hat (Titel eines seiner Vorträge: „Die Irrtümer des Liberalismus”), sollte es ihn nicht überraschen, wenn er von eben dieser Seite Widerspruch erntet. Dass er diesen bislang nicht in der nötigen Entschiedenheit erhalten hat, spricht weniger dafür, dass seine Position unangreifbar wäre, sondern eher, dass sie sich außerhalb Hoppescher Zirkel noch nicht herumgesprochen hat.
Bevor wir jedoch mit unserer Kritik beginnen, möchten wir festhalten, dass wir in weiten Teilen von Hoppes Analyse der staatlichen Wirklichkeit westlicher Demokratien mit ihm konform gehen. Wenn Hoppe beschreibt, wie der Staat, der eigentlich das Eigentum seiner Bürger garantieren und schützen sollte, selbst zum größten Eigentumsgefährder wird, dann hat er Recht, und Liberale seit John Locke würden ihm in seiner Analyse zustimmen. Wenn Hoppe kritisiert, dass die Demokratie anfällig für Gefälligkeitsentscheidungen zugunsten einflussreicher Gruppen ist, dann hat er Recht, und Liberale wie James Buchanan und Gordon Tullock würden genauso argumentieren. Wenn Hoppe analysiert, wie ein staatliches Papiergeldmonopol das Geld nach und nach zerstört, dann hat er Recht, und Liberale wie Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek kamen bereits vor Hoppe zu ganz ähnlichen Schlüssen. Insofern steht Hoppe in seinen ökonomischen Überlegungen keineswegs weit außerhalb des Mainstreams liberalen Denkens.
Würde sich Hoppe in seinen Vorlesungen und Schriften darauf beschränken, das Ist zu beschreiben und zu analysieren: Hoppe wäre einer von vielen guten, liberalen Ökonomen. Hoppe aber reicht dies offensichtlich nicht aus, und so begibt er sich in die Sphären der Jurisprudenz und Staatsphilosophie, um eine Alternative zu dem von ihm beklagten ökonomischen Zustand westlicher Demokratien zu skizzieren. An diesem Punkt verlässt Hoppe jedoch seine messerscharfe analytische Brillanz, und statt dessen ergeht er sich in hochabstrakten Spekulationen über alternative Gesellschaftsformen. Er hebt sich von jahrhundertealten Traditionen klassisch-liberalen Denkens ab und verliert gerade deshalb, so finden wir, jede Bodenhaftung.
Verkürzt zusammengefasst heißt Hoppes Alternative zur Demokratie, die Effizienzen des Marktes zu verabsolutieren und der Gesellschaft eine neue, wie Hoppe sagt: ‚natürliche’, Ordnung überzustülpen. Dies bedeutet die konsequente Privatisierung des gesamten Lebens, in dem nunmehr mögliche Konflikte entweder gar nicht erst entstehen oder aber von privaten Institutionen wie Versicherungen gelöst werden.
Was ‚natürlich’ an dieser Ordnung sein soll, bleibt allerdings Hoppes Geheimnis, denn als natürlich werden für gewöhnlich Dinge bezeichnet, die eben naturgegeben sind, mithin nicht der bewussten Konstruktion bedürfen. Insofern ist ein Vogel natürlich, ein Flugzeug hingegen nicht. Was aber ist an einer Gesellschaftsordnung in diesem Sinne natürlich, die – so wie Hoppe sie sich vorstellt – noch nie praktiziert worden ist? Mit derselben Berechtigung könnten auch Kommunisten ihre Utopie als die ‚natürliche Gesellschaftsordnung’ bezeichnen, weil diese Ordnung ihrer Vorstellung von der Natur des Menschen entspricht. Das ist aber genau das Problem: Ganz ähnlich wie die Gesellschaftsentwürfe des Sozialismus und Kommunismus am grünen Tisch entstanden sind, so ist auch Hoppes System lediglich das Resultat seiner eigenen theoretischen Überlegungen. Im Grunde genommen betätigt sich Hoppe hier als Konstruktivist, indem er gewachsene, historische Realitäten geflissentlich übersieht und sie durch seine eigenen Gedankenkonstrukte ersetzt. War dies nicht exakt das Vorgehen kommunistischer Ideologen? War nicht der Hauptkritikpunkt Hayeks am sozialistischen Denken schlechthin, dass Ideologen glaubten, der Gesellschaft bewusst eine bessere Ordnung geben zu können? Und schließlich: Benötigt nicht auch Hoppes Vision zur friedlichen Durchführung einer rein auf freiwilligen Vertragsbeziehungen beruhenden Gesellschaft einen neuen Menschen? Glaubt Hoppe wirklich, dass nicht perfekte, nicht immer rational und nicht immer nur ethisch und moralisch handelnde Menschen in eine Zwang-lose, lediglich freiwillig organisierte Gesellschaft integriert werden können, ohne dabei Freiheit und Eigentum Dritter zu gefährden? In Anknüpfung an Vertragstheoretiker von Hobbes bis Nozick halten wir diese Vorstellung für geradezu naiv. Die bei Hoppe lediglich implizite Konsequenz hieße dann aber, nicht nur eine neue Gesellschaftsordnung, sondern gleich auch eine neue Gesellschaft und zudem neue Menschen für diese Gesellschaft zu entwickeln. Bislang war dies stets das erklärte Ziel totalitärer Ideologien, und die diesbezüglichen Ähnlichkeiten zu Hoppes Vorgehen sind zu frappierend, um sie zu übersehen.
Der Konstruktivismus Hoppescher Prägung ist dabei das Ergebnis seiner methodologischen Vorentscheidungen. Hoppe ist Vertreter eines reinen Apriorismus, d. h. der Behauptung, dass sich wissenschaftliche Wahrheiten letztlich rein logisch, losgelöst von jeder Empirie ermitteln ließen. Bis zu einem gewissen Punkt würden ihm dabei sogar folgen: Wer zum Beispiel Verträge schließt, der erwartet dabei immer, sich durch den Vertragsschluss besser zu stellen, sonst würde er den Vertrag nicht abschließen. Anderes Beispiel: Wer behauptet, man könne den Wohlstand einer Gesellschaft steigern, indem man Geldscheine druckt, macht einen Denkfehler, weil es nicht der nominale Geldwert ist, der für den Wohlstand entscheidend ist, sondern Kaufkraft und Wirtschaftsleistung, die hinter diesem Geld stehen. Dies sind ökonomische Phänomene, die sich in der Tat in einer rein abstrakten Betrachtungsweise untersuchen lassen. Ein reiner Apriorismus in der Wirtschaftswissenschaft ist also bis zu einem gewissen Punkt vertretbar, ja sogar sinnvoll – was allerdings auch Ökonomen dieser aprioristischen Tradition nicht davon abhalten sollte, die Ergebnisse ihrer logischen Überlegungen gelegentlich an der Wirklichkeit zu überprüfen. Vor Irrtümern und Denkfehlern sind auch sie nämlich nicht gefeit.
Hoppes Problem besteht nun darin, dass er die Methode, die in der Wirtschaftswissenschaft durchaus zu sinnvollen Schlussfolgerungen führt, auf die Gesellschaftsphilosophie überträgt. Derlei Methodentransfers sind aber nicht unproblematisch, und es ist eine Ironie, dass es doch gerade Hoppe ist, der stets vor der Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden auf die Ökonomie gewarnt hat. Nun macht Hoppe aber letztlich denselben Fehler, indem er seinen ökonomischen Apriorismus überdreht und auf die Gesellschaft anwendet. Dies muss scheitern, denn Hoppe beschreibt in seiner gesellschaftsphilosophischen Theorie eben eine Gesellschaft, die so schlichtweg nicht existiert und nie existiert hat. Auf dieser Grundlage lassen sich dann zwar Gedankenexperimente anstellen, aber sie werden nicht praktikabler und realistischer sein als die Prämissen, auf denen sie beruhen. Und so bleibt Hoppe dann auch gar nichts anderes übrig, als hochabstrakt und theoretisch über seine ‚natürliche Ordnung’ zu philosophieren, weil ihm die empirischen Fakten sonst nur im Wege stehen würden. Interessanterweise führt Hoppe nur zu gerne historische Beispiele für das Staatsversagen in seinen Ausführungen an, d. h. er nutzt empirische Erkenntnisse, wo sie ihm gerade passen, ignoriert aber den Rest der historischen und gegenwärtigen Realität. Diese Art der selektiven Wahrnehmung hat bei ihm Prinzip, und was daraus folgt ist ein reines Schwarz-Weiß-Denken: Der Staat ist immer schlecht, die ‚natürliche Ordnung’ immer überlegen. Ein solches Vorgehen halten wir in der Wissenschaft für unangebracht. Wissenschaft heißt eben nicht, die Realität nur soweit wahrzunehmen, solange sie in ein vom Wissenschaftler präferiertes Modell passt.
Ist die Methodik von Hoppes Analyse bereits verfehlt, so wird seine Argumentation nicht dadurch besser, dass er sich teilweise missverständlich bzw. mehrdeutig ausdrückt. Wir befürchten, dass dies kein Zufall ist, sondern Teil seiner Strategie, eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen. Die Kontroverse zu Hoppes Äußerungen über Homosexuelle ist noch in guter Erinnerung: Hoppe vertrat damals im Rahmen einer Lehrveranstaltung an seiner Universität die Meinung, Homosexuelle hätte eine geringere Zeitpräferenz und dies sei u. a. der Hintergrund für die kurzfristige Orientierung keynesianischer Wirtschaftspolitik. Hoppe selbst legt zwar Wert darauf, dass sich aus diesem Statement keine Homophobie ableiten ließe, aber wer bereits latent homophob ist, wird ohne diese Klarstellung glauben, in Hoppe einen Verbündeten gefunden zu haben. Oder nehmen wir die inzwischen berühmt-berüchtigte Passage aus seinem Demokratie-Buch, die sich wie folgt liest: „There can be no tolerance toward democrats and communists in a libertarian social order. They will have to be physically separated and expelled from society. Likewise, in a covenant founded for the purpose of protecting family and kin, there can be no tolerance toward those habitually promoting lifestyles incompatible with this goal. They – the advocates of alternative, non-family and kin-centered lifestyles such as, for instance, individual hedonism, parasitism, nature-environment worship, homosexuality, or communism – will have to be physically removed from society, too, if one is to maintain a libertarian order.” Natürlich erklärt Hoppe im weiteren Zusammenhang dieser Aussage, dass sich dies quasi nur auf Hausordnungen privater Siedlungen bezieht, aber auch hier kann man als Anti-Demokrat, Homophober oder Anti-Kommunist glauben, Hoppe würde die eigenen Standpunkte teilen. Wer sich so ausdrückt, der versucht damit die Zustimmung bestimmter Gruppen zu erhalten, von denen man sich im Bedarfsfall wieder mit einem schlichten Dementi distanzieren kann. Mit Verlaub: Nichts anderes macht derzeit Oskar Lafontaine, wenn er sich über „Fremdarbeiter” äußert und dem Dritten Reich attestiert, es wäre nicht fremdenfeindlich gewesen. Damit erreicht er die rechtsnationalen Stammtische, während er sich gleichzeitig nach Links absichert. Solche Verrenkungen hat nicht nötig, wer einen klaren Standpunkt vertritt und intellektuell redlich argumentiert. Bewusst in Kauf genommene Missverständlichkeiten sprechen aber weder für das eine noch das andere – weder bei Lafontaine noch bei Hoppe.
Nun könnte man bei genauer Betrachtung allerdings auch zu dem Schluss kommen, dass Hoppe eine Gefolgschaft aus Anti-Kommunisten, Anti-Demokraten und Homophoben durchaus nicht stören würde. Im Gegenteil betrachtet Hoppe sich selbst als Konservativen, ja er behauptete kürzlich sogar, Konservative müssten Libertäre sein, wenn sie die von ihnen geschätzten Werte (Familie, Religion, etc.) ernst nähmen. So werden dann aus Konservativen per definitionem Libertäre, mit denen man, so Hoppe, Koalitionen bilden kann – also im Grunde genommen Koalitionen mit sich selbst. Merkwürdigerweise dreht Hoppe diese Argumentation jedoch zugleich um: Libertäre müssen seiner Meinung nach auch Konservative sein. Nach eigener Aussage auf der Gummersbacher Tagung sind ihm die „Sex, Drugs & Rock’n’Roll-Libertären” zuwider, also jene Libertäre, die andere soziale Werte als Hoppe – bei gleichzeitigem Eintreten für Freiheit und Eigentum! – vertreten. Wir fragen uns, wie ein Liberaler oder Libertärer anderen Individuen das Recht absprechen kann, selbstverantwortlich ihr Leben zu gestalten, solange sie dabei Freiheit und Eigentum Dritter respektieren. Wer homosexuell-promisk lebt, gelegentlich Drogen konsumiert und dabei Rockmusik hört, hat also in Hoppes Welt keinen Platz, selbst wenn er Hoppe mit seinem Lebensstil gar nicht tangiert. Hier kann man sich dann schon die Frage stellen, welche Vorstellung von Freiheit dies denn bitteschön sein soll, bei der eine bestimmte Moralvorstellung, und zwar die tradierte jüdisch-christliche, von vornherein vorgegeben wird. Zeichnete sich nicht bislang gerade liberales Denken durch Toleranz aus? Doch wo ist die Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen in Hoppes Weltbild? In der Art und Weise, wie Hoppe hinsichtlich seiner Vorstellung von Kultur argumentiert, erweckt er kaum den Eindruck, ein Vertreter freiheitlicher Ideen zu sein. Vielmehr träfen hier auf ihn die Adjektive ‚konservativ’, ‚reaktionär’ oder ‚autoritär’ zu.
Hoppes Methodologie, seine bewusst in Kauf genommenen Mehrdeutigkeiten, seine merkwürdig intoleranten gesellschaftlichen Vorstellungen, wären eigentlich bereits Grund genug, seine Ideen mit Vorsicht zu genießen. Geradezu ärgerlich wird es jedoch an dem Punkt, an dem Hoppe beginnt, sich über rechtliche Fragen auszulassen – ärgerlich insofern, da man hier als auch nur halbwegs juristisch Vorgebildeter sofort bemerkt, dass Hoppe von Dingen spricht, die er zum einen nicht kennt und zum anderen nicht versteht. Dies fängt damit an, dass er behauptet, die Monopolisierung der inneren Sicherheit durch den Staat führe dazu, dass Polizei und Staatsanwaltschaft kein echtes Interesse an einer effektiven Verbrechensbekämpfung hätten. Sie würden ihre Arbeit nur soweit wie nötig verrichten, schließlich seien sie ja Monopolisten, und im übrigen versuchten sie, ein gewisses Maß an Kriminalität aufrecht zu erhalten, um sich nicht die eigene Existenzberechtigung zu entziehen. Wir bezweifeln, dass Hoppe jemals eine Polizeibehörde oder Staatsanwaltschaft von innen gesehen hat. Wenn es auch unbestritten bei beiden Einrichtungen Verbesserungspotentiale gibt, so wäre es doch eine geradezu böswillige Unterstellung, diesen Behörden Untätigkeit und Gleichgültigkeit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorzuwerfen. Die Verfasser kennen die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft jeweils aus eigener Anschauung und würden Professor Hoppe empfehlen, sich mit den Organen der Strafverfolgung einmal in der Praxis zu beschäftigen.
Hoppe scheint darüber hinaus auch Schwierigkeiten mit der Vorstellung unabhängiger Richter zu haben, weil diese vom Staat bezahlt werden. Hoppe nimmt an, dass ein vom Staat bezahlter Richter niemals gegen den Staat entscheiden würde, schließlich seien sie doch beide Teil derselben Organisation. Auch wenn dies Hoppes Vorstellungsvermögen sprengen sollte: Solche Entscheidungen sind in Deutschland an der Tagesordnung. Man stelle sich vor: Es gibt sogar einen ganzen Zweig der Gerichtsbarkeit, die Verwaltungsgerichte nämlich, in denen nichts anderes passiert: Klagen gegen den Staat, die in vielen Fällen auch noch Erfolg haben, was nach Hoppe eigentlich kaum passieren dürfte. In Diktaturen gibt es dies in der Tat nicht, und so wurde bspw. im Dritten Reich die Verwaltungsgerichtsbarkeit generell abgeschafft, und auch in der DDR existierte sie ab 1958 nicht mehr. Die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat ist damit aber nicht vergleichbar. Es gibt natürlich spannendere Lektüre als das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung, aber Hoppe macht sich auch hier seine Weltsicht zu einfach, indem er solche Gesetze und ihre praktische Anwendung in seiner fundamentalen Staatskritik ignoriert – was nicht sein kann, das nicht sein darf.
Ein weiterer Punkt, an dem die juristische Unkenntnis des Hans-Hermann Hoppe offen zutage tritt, betrifft das Zivilrecht. Als wir ihn in Gummersbach danach fragten, ob denn nicht die Existenz von Transaktionskosten für ein staatlich gesetztes Zivilrecht spräche, sagte Hoppe, dass in einer privaten, durch Versicherungen und Mediatoren geprägten Rechtsordnung die Transaktionskosten letztlich geringer wären, weil sich einerseits Versicherungen untereinander auf einen verbindlichen Rechts-Code einigen würden und sich andererseits Konflikte zwischen verschiedenen Versicherung mittels einer Mediation lösen ließen, wie dies doch auch heute schon im internationalen Privatrecht der Fall sei. Von dieser Antwort ist der juristische Laie beeindruckt, und der Fachmann wundert sich: Hoppe scheint allen Ernstes zu glauben, dass das internationale Privatrecht eine Art Supra-Zivilrecht sei, das zwischen verschiedenen Rechtsordnung gleichsam vermittelt und so nach und nach international verbindliche Rechtsregeln herausarbeitet. Schön wäre es. Tatsächlich aber hat das internationale Privatrecht lediglich die Funktion, in Fällen, in denen es Anknüpfungspunkte mit mehreren Rechtsordnungen gibt, zu bestimmen, welche dieser Rechtsordnungen zur Anwendung kommt. Dies wird zum Beispiel in Fällen relevant, in denen Ehen oder andere Verträge von Partnern unterschiedlicher Nationalitäten geschlossen werden. Es liegt auf der Hand, dass in solchen Fällen eindeutig bestimmt sein muss, nach welchem Recht diese Verträge zu beurteilen sind. Geregelt ist das „internationale” Privatrecht dabei im EGBG, dem Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch, also in einem handelsüblichen deutschen Gesetz. Mit einer Angleichung der Rechtsordnungen hat dies hingegen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Hier irrt sich Hoppe, aber nicht nur da.
Wie sehr Hoppe sich von der Wirklichkeit entfernt, zeigen besonders seine Ausführungen zum Strafrecht. Strafrecht und Strafrechtspflege, also Polizei und Justiz, gehören, wie man sich erinnert, zu dem engen Bereich dessen, was nach klassisch-liberaler Sicht als Kernaufgabe des Staates erhalten bleibt und was nach dieser – also auch unserer Auffassung – der Staat leisten muss, da es eben – anders als die meisten anderen Lebensfragen – durch den Markt alleine nicht geleistet werden kann. Wenn Hoppe nun also eine Nullstaatstheorie bietet, so müsste er eigentlich gerade diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit schenken, denn dies ist einer der „Knackpunkte”, an denen sich die Durchführbarkeit von Hoppes Thesen zeigen muss. Erstaunlicherweise scheint Hoppe die Brisanz gerade dieses Themas aber durchaus nicht erkannt zu haben. Jedenfalls handelt er es mit einer erstaunlichen Freudlosigkeit ab. Seine Ausführungen dazu lauten wie folgt: Die eigentliche Funktion des Strafrechts sei, so Hoppe, die Wiedergutmachung von durch Straftaten, also durch ungerechtfertigte Eingriffe in fremde Rechtsgüter, entstandenen Schäden. Und diese Funktion ließe sich eben auch ohne den Staat durch die Versicherungen lösen. Was Hoppe also mithin vornimmt, ist die Auflösung des Strafrechts in das zivilrechtliche Deliktsrecht. Damit greift Hoppe letztlich – ob bewusst oder unbewusst sei dahin gestellt – auf Argumentationslinien zurück, die in den siebziger Jahren stark en vogue waren, als aus linken Kreisen die Abschaffung des Strafrechts und seine Auflösung in ein reines „Maßnahmenrecht” verlangt wurde. Freilich ist an Hoppes These – ebenso wie an den in den siebziger Jahren erhobenen Forderungen – bereits die Prämisse falsch. Das Strafrecht erfüllt eine Reihe von Funktionen, unter denen die von Hoppe genannte eher zweitrangig ist. Vollkommen außer Acht lässt Hoppe zum einen die Sühnefunktion, zum anderen die Idee der so genannten General- und Spezialprävention, also der Abschreckung des Verurteilten sowie anderer potentieller Straftäter. Dass auf diese Funktionen aber nicht einfach verzichtet werden kann, sei an Folgendem illustriert: Hinsichtlich der Sühnefunktion des Strafrechts hat die kriminologische Forschung eindeutig ergeben, dass jedenfalls bei mittlerer und schwerer Kriminalität den Opfern an einer schuldangemessenen Bestrafung gelegen ist. So wird etwa bei einer Vergewaltigung von Opfern eine Bewährungsstrafe des Täters als geradezu traumatisierend erlebt. Eine Schadensregulierung – die hier je ohnehin kaum möglich wäre, da die Schäden immaterieller Art, dafür aber um so größer sind – ist den Opfern hier meistens zweitrangig. Und dass auch auf die präventive Funktion des Strafrechts nicht verzichtet werden kann, illustriert folgende Überlegung: Beschränkt man sich etwa im Falle einer Vergewaltigung auf die Zahlung von Schmerzensgeld, so könnte jemand, der es sich leisten kann, jederzeit Vergewaltigungen begehen. Bei der Existenz eines Staates kann er das nicht, weil ihm neben immer höheren Haftstrafen irgendwann die Sicherungsverwahrung, also das lebenslange Wegschließen, droht. Was aber droht ihm in Hoppes Welt außer der Zahlung von Schmerzensgeld, das er aus der Portokasse begleicht? Die genannten Strafrechtsfunktionen scheinen nach unserer Auffassung daher unverzichtbar. Wie aber will man sie ohne Staat erfüllen? Wer insbesondere sollte sie erfüllen? Auf welcher rechtlichen Grundlage sollte etwa die Versicherung eines Vergewaltigungsopfers den Täter einsperren? Mehr als Schadensregulierung kann die Versicherung eben nicht leisten. Ihr fehlt jede rechtliche Grundlage – welche bei Hoppe ja nur eine vertragliche sein kann – um einen Täter, der im Zweifel gar nicht bei ihr versichert ist und daher gegenüber der Versicherung keine vertraglichen – und das heißt bei Hoppe letztlich: überhaupt keine – Verpflichtungen hat, einzusperren. Es ist daher nicht zu erkennen, wie in einer Welt ohne Staat ein Strafrecht, das mehr ist als bloßes Deliktsrecht, organisiert werden könnte. Vor diesem Hintergrund ist Hoppes Umgang mit diesem Thema wiederum äußerst lehrreich im Blick auf die ganze Art seiner Theoriebildung, da sich hier sehr schön zeigen lässt: Da Hoppe das beschriebene Problem in seiner Theorie nicht befriedigend lösen kann, erklärt er es einfach für nicht vorhanden bzw. reduziert es auf genau den Teil, der in sein Modell passt. In diesem Fall beschränkt Hoppe die Funktion des Strafrechts auf eine Art Deliktsrecht, also auf Schadenswiedergutmachung, da er nur diesen Aspekt in seinem Modell irgendwie unterbringen kann. Die Taktik des Problemlösens durch Problemleugnen scheint uns wie gesagt geradezu symptomatisch für Hoppes Methodik. Dass er dabei ohne jeden Anschluss an die Erkenntnisse der entsprechenden Fachdisziplinen – hier etwa der Kriminologie – arbeitet, sondern sich mit irgendwelchen apodiktisch aufgestellten und nicht weiter belegten Behauptungen begnügt, ist ebenfalls kennzeichnend für Hoppes Art der Theoriebildung.
Zu welch verblüffenden Einsichten die von Hoppe offen gelassenen Fragen bei seinen Anhängern führen, davon konnten wir uns beim Frühstück während der Tagung in Gummersbach überzeugen. Angesprochen auf die Frage, wie man ohne Strafrecht – und darauf läuft Hoppes Theorie letztlich hinaus – Kriminalität bekämpfen will, äußerte ein anderer Seminarteilnehmer, dieses Problem bestehe in der Welt ohne Staat doch gar nicht, da Kriminalität dort nicht nachgefragt werde. Dass das kaum richtig sein kann, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung; jedenfalls ist es uns nicht bekannt, dass Kriminalität in Deutschland oder anderen Staaten nur deshalb vorhanden ist, weil die Opfer den Mörder, Vergewaltiger oder Einbrecher bestellt haben. Diese – wie gesagt nicht von Hoppe selbst stammende – These führt jedoch zu einem weiteren ganz zentralen Schwachpunkt von Hoppes Idee, welcher im Zusammenhang mit dem zuvor gesagten steht: Hoppe wird nicht müde, zu betonen, dass der Staat allzu oft das Recht nicht schützt, sondern selber das Recht verletzt, und dabei dann – aufgrund seiner besonderen Machtfülle – unter allen Rechtsverletzern der Gefährlichste ist. Das ist leider zutreffend. Unrichtig und auch gänzlich unlogisch ist aber die Schlussfolgerung, die Hoppe zumindest implizit daraus zieht und die der erwähnte Hoppe-Anhänger dann nur explizit geäußert hat. Hoppe scheint zu glauben, dass mit dem Verschwinden des Staates auch die Gewalt aus der Welt verschwindet. Sein faktischer Verzicht auf ein effizientes Strafrecht ist hierfür nur ein Beleg. Diese Annahme ist freilich bereits im Ansatz verfehlt. Hierzu sei noch einmal auf die These zurückgegangen, dass der Staat ein besonders gefährlicher Rechtsverletzer sein kann. Diese These ist wie gesagt richtig, aber nur, wenn man sie richtig versteht. Der Staat kann selber kein Recht verletzen, weil es ihn nicht gibt. Der Staat ist – wie alle juristischen Personen – eine rechtliche Fiktion. Handeln können auch im Staat immer nur Menschen, Individuen, weil es sonst niemanden auf der Erde gibt, der handeln kann – einen Vertreter methodologischen Individualismus’ wie Hoppe sollte dies nicht überraschen. Aber der Mensch ist ein ambivalentes Geschöpf, fähig zum Guten wie zum Bösen. Warum sollte nun der Mensch diese Fähigkeit zum Bösen verlieren, bloß weil die Fiktion Staat verschwindet? An der Natur des Menschen würde dies ja nichts ändern. Natürlich ist Hoppe eines zuzugestehen: Mit dem Verschwinden des Staates mit seinen Machtmitteln würde ein großes Missbrauchspotential aus der Welt verschwinden. Aber zu glauben, dass die Welt dadurch friedlicher würde, ist in doppelter Hinsicht zweifelhaft: Zum einen bliebe der gesamte Bereich derjenigen Gewalt, der auch heute quasi staatsfrei vorhanden ist, und den zu bekämpfen in Hoppes System – wie dargetan – kaum mehr irgendwie gelingen würde. Aber zugleich bietet Hoppes Welt neue Möglichkeiten des Machtmissbrauchs, nämlich über die Versicherungen. Wie will Hoppe garantieren, dass seine Versicherungen nicht zu mafiösen Strukturen verkommen und irgendwann zum Beispiel anfangen, Schutzgeld zu erpressen oder ähnliches? Warum sollte jemand, der als Ministerpräsident Macht missbraucht, dies als Versicherungspräsident nicht auch tun? Auf den ersten Einwand – die private Kriminalität – scheint Hoppes Theorie unserer Ansicht nach überhaupt keine Erwiderung zu haben. Zum zweiten freilich könnte Hoppe etwas erwidern: Er würde wahrscheinlich ausführen, dass es dafür ja konkurrierende Versicherungen gibt und der Kunde dann eben die Versicherung wechselt. Nur was hätte er davon? Gastwirt Krause wird also von Versicherung A bedroht. Hilfe suchend wendet er sich an Versicherung B. Aber was soll die nun machen? Verfügt sie – wie Versicherung A – über eigene bewaffnete Leute, so könnte sie Versicherung A angreifen mit der Folge eines kleinen Bürgerkrieges. Verfügt sie über keine eigenen oder unterlege Truppen, so könnte sie Herrn Krause nur raten, nach Feuerland zu ziehen (vorausgesetzt, Versicherung A lässt ihn gehen). In Abwandlung eines aus dem Gedächtnis zitierten Satzes von Ernst Jünger kann man sagen: Hoppes Theorie übersieht die Realität eines Maschinengewehres. Indem Hoppe übersieht, dass Gewalt immer von Menschen gemacht wird und daher mit dem Verschwinden des Staates längst nicht aus der Welt verschwinden wird, erweist sich sein Theorie freilich insgesamt als illusionär. Hoppe will alle Probleme über den freien Markt lösen, übersieht dabei aber, dass dieser freie Markt eben nur frei sein kann, wenn irgendjemand ihn von Gewalt frei hält. Und dieser jemand kann eben kein rechtschaffener Anbieter auf diesem Markt sein, weil der freie Markt bereits vorhanden sein muss, damit der rechtschaffene Anbieter überhaupt als solcher agieren kann. Es muss eben jemanden geben, der Versicherung A vom Markt entfernt, wenn diese zur Bedrohung entartet, und die anderen Marktteilnehmer können diese Aufgabe nicht erfüllen. Die Bekämpfung von Kriminalität, die absolut notwendig ist für die Existenz individueller Freiheit, kann im Verhältnis der Gleichordnung nicht gelingen. Hier bedarf es ausnahmsweise eines Subordinationsverhältnis, also einer Über-/Unterordnung, da nur dann der Rahmen gesetzt werden kann, in dem die rechtliche Gleichordnung der Individuen auch faktischen Bestand hat. Indem Hoppe das übersieht, übersieht er nicht weniger als die praktische Undurchführbarkeit seiner Theorie.
Dass das Verschwinden des Staates nicht zum Verschwinden der Gewalt, sondern letztlich zum Verschwinden der Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes und damit gerade der Möglichkeit von Freiheit führt, lässt sich auch an einem praktischen Beispiel illustrieren: Die faktische Auflösung des Staates Somalia hat genau zu dem geführt, was wir soeben skizziert haben, nämlich zur Herrschaft des Maschinengewehrs mit Hunderttausenden von Toten.
Hier zeigt sich letztlich, warum alle großen Liberalen an der Existenz eines Minimalstaates festgehalten haben. Darin liegt gerade keine Inkonsistenz, sondern eine sicher etwas resignative, aber eben schlicht richtige Einsicht in die menschliche Natur. Hoppes natürliche Ordnung hat damit nichts zu tun. Auch deshalb ist der von ihm gewählte Begriff des ‚Natürlichen’ unangebracht. Es sollte Hoppe zu denken geben, dass ausgerechnet der von ihm wie von uns hochgeschätzte Ludwig von Mises die Meinung vertrat, Anarchismus sei nur in einer Welt von Engeln und Heiligen zu praktizieren, wie er in seinem Buch ‚Liberalism – In the Classical Tradition’ schrieb: „Liberalism is not anarchism, nor has it anything whatsoever to do with anarchism. The liberal understands quite clearly that without resort to compulsion, the existence of society would be endangered and that behind the rules of conduct whose observance is necessary to assure peaceful human cooperation must stand the threat of force if the whole edifice of society is not to be continually at the mercy of any one of its members. One must be in a position to compel the person who will not respect the lives, health, personal freedom, or private property of others to acquiesce in the rules of life in society. This is the function that the liberal doctrine assigns to the state: the protection of property, liberty, and peace.” Was hindert Hoppe eigentlich daran, diese Misesianische Einsicht zu akzeptieren?
Wie gerne Hoppe seinen – freilich leicht zu durchschauenden – methodischen Trick anwendet, Probleme genau so zu beschreiben, dass sie in seinem Modell lösbar bleiben, lässt sich an einem anderen Beispiel zeigen, welches der ebenfalls auf der Tagung anwesende Referent Dr. Theodor Paleologu kurz anriss und welches uns Wert scheint, hier in einem etwas breiteren Kontext weitergedacht zu werden. Es geht um folgendes: Nach Hoppe sind alle Konflikte letztlich Eigentumskonflikte. Jeder wie auch immer geartete Konflikt lässt sich also nach Hoppe auf einem Eigentumskonflikt – und dass bedeutet: auf einen durch privatrechtlichen Vertrag zu lösenden Konflikt zwischen Individuen – zurückführen. Dr. Paleologu wies nun – ausgehend von seiner Beschäftigung mit Carl Schmitt – darauf hin, dass der Staat und das Politische nicht identisch sind, dass also mit anderen Worten das Politische mit dem Verschwinden des Staates keineswegs verschwindet. Dies scheint uns zutreffend. Gerade Kulturkonflikte, wie man sie etwa gegenwärtig in der Auseinandersetzung zwischen Teilen der islamischen Welt und dem Westen erlebt, sind mit Konflikten zwischen Staaten nicht identisch. Al-Quaida ist dafür das beste Beispiel, handelt es sich hierbei doch in gewisser Hinsicht gerade um eine – freilich besonders absonderliche – staatsfreie „Grassroots-Bewegung”. Warum sollte der Hass der Terroristen auf den Westen aufhören, wenn Syrien und die USA verschwunden sind, aber in der islamischen Welt weiter fröhlich Coca-Cola und hautenge Damenjeans verkauft werden, was nach Ansicht dieser Leute der gottgewollten Ordnung widerspricht? Ausgehend von dieser Erkenntnis, dass mit dem Verschwinden des Staates das Politische nicht aus der Welt verschwinden wird, lässt sich nun auch die These, alle Konflikte seien Eigentumskonflikte, neu beleuchten. Wahr wäre diese These nur, wenn auch alle politischen Konflikte letztlich Eigentumskonflikte und dass heißt Konflikte zwischen Individuen wären. Was aber zeichnet einen politischen Konflikt aus? Einen solchen Konflikt zeichnet doch gerade aus, dass es ein Konflikt ist zwischen Gruppen und Gemeinschaften, welcher damit gerade eine überindividuelle Komponente hat. Dies gilt sowohl für die diskutierten Fragen, etwa den Wert der Religion oder den Wert der Gemeinschaft, aber vor allem auch für die Mittel, wie ja gerade der Terrorismus auf traurige Weise demonstriert. Zwar gilt auch hier, dass Kulturen und gesellschaftliche Gruppen ebenso wie der Staat keine Akteure sind, aber sie sind deswegen genauso wenig irrelevant wie es heute der Staat ist. Denn die gefühlte Zugehörigkeit zu Gruppen, zum Beispiel einer Religion, bzw. das Handeln im Namen einer solchen Gruppe kann das Handeln der Akteure in einer Weise bestimmen, dass ihr Verhalten sich eben als Eigentumskonflikt nicht mehr fassen lässt. Auch hiefür scheint der internationale Terrorismus ein gutes Beispiel. Um einem möglichen Einwand entgegenzuwirken: Eine Reduzierung solcher Gruppenkonflikte auf Eigentumskonflikte mag in der Theorie durchaus möglich sein: Soll der Islamist doch jede Frau in Afghanistan selber entscheiden lassen, ob sie eine Burka oder eine offene Bluse tragen will, schließlich ist es ihr Leben und damit ihr Eigentum. Nur wird der Islamist von solchen Hoppeschen Weisheiten in der Praxis wenig beeindruckt sein und der Frau doch lieber die Steinigung androhen, wenn sie nicht mitspielt. Die Reduzierung von politischen Konflikten auf Eigentumskonflikte zwischen Individuen mag daher theoretisch durchaus denkbar sein, nur ist sie es praktisch eben nur dann, wenn die Akteure der Lösung des Konflikts als Eigentumskonflikt zustimmen. Und diesen Gefallen werden sie Herrn Hoppe nicht immer tun, zumal sie dazu auch nicht mehr den geringsten Grund haben, da dem erwähnten Islamisten bei seiner geplanten Steinigung jedenfalls keine Polizei mehr in den Arm fallen kann, da Hoppe eine arbeitsfähige Polizei leider abgeschafft hat. Was aber macht Hoppe in seinem Modell dann mit solchen Kultur- und Gruppenkonflikten? Einerseits spielen derart gewachsene Gruppen in einem Modell ohne Staat natürlich gerade eine besondere Rolle, da nur sie eine gewisse überindividuelle Orientierung bieten können, ohne die der Mensch zumindest zum Teil nicht auskommt. Dies erkennt Hoppe auch durchaus an. Geht es aber nun um etwaige Konflikte, dann verschwinden diese Gruppen auf rätselhafte Weise aus Hoppes Theorie. Auf einmal gibt es wieder nur noch reine Individuen. Und damit verschwindet dann auch das Politische – was ja eben diese überindividuelle Komponente bei Konflikten ist – aus Hoppes Welt. Familie, Verein, Kirche etc. sind zwar vorhanden, halten sich aus allen Konflikten aber überraschenderweise heraus, genauso wie überindividuelle Orientierungen bei den Akteuren nicht die geringste Rolle spielen. Konflikte gibt es bei Hoppe nicht nur in der Theorie nur zwischen Individuen, sondern auch in der Praxis. Dass das nicht sehr wahrscheinlich ist, liegt auf der Hand (und lässt sich an der Begeisterung, mit der etwa Religionsgemeinschaften sich in politische Fragen einmischen, nur zu gut belegen). Warum aber diese Inkonsistenz in Hoppes Theorie? Nach unserer Ansicht liegt die Antwort auch hier wieder darin, dass Hoppe das Problem politischer Konflikte in seiner kleinen, heilen Anarchie nicht lösen könnte und es daher lieber leugnet bzw. übersieht. Politische Konflikte sind eben mehr als private Konflikte und lassen sich daher auch nicht einfach privatisieren – was aber zwingende Voraussetzung wäre, um sie in Hoppes Welt der vollständigen Privatisierung bewältigen zu können. Das Beispiel von Dr. Paleologu hierzu war zwingend und sei daher wiedergegeben: Es ist schlicht und ergreifend nicht möglich, die Atombombe zu privatisieren.
Ein weiterer Punkt mag deutlich machen, dass es fraglich ist, alle Konfliktfälle der Welt über freiwillige Verträge zu lösen. Von einem Teilnehmer gefragt, welchen Schutz ungeborenes Leben in einer „natürlichen Ordnung” hätte, antwortete Hoppe ratlos bis ausweichend. Dies hänge natürlich davon ab, ob die Eltern einen Vertrag über den Zeugungsvorgang geschlossen hätten. Ansonsten müsse man unterstellen, dass die Entscheidungsgewalt wohl bei der Mutter läge. Es fällt auf, dass das Ungeborene in dieser Vorstellung keinerlei eigene Rechte hat. Hoppe rechtfertigte dies damit, dass es schließlich in seiner Existenz von der Mutter abhänge, was rein faktisch wohl auch zutrifft. Aber die Schlussfolgerung, dass deswegen die Mutter nach Belieben handeln könne, ist doch sehr problematisch. Treiben wir den Fall zur Veranschaulichung auf die Spitze: Ein Satanistenpaar hegt den Wunsch, in einem rituellen Akt ein Neugeborenes zu opfern, und beschließt daher, dass die Frau eigens dafür schwanger würde. Darüber schließen sie dann als gute Einwohner der natürlichen Ordnung auch einen Vertrag, in dem sie genau dies festhalten. Nun wird das Kind geboren und die Mutter entwickelt mütterliche Gefühle. Sollte der Vater dann auf Vertragserfüllung bestehen können? Man kann Hoppe zugestehen, dass er in der Diskussion dem neugeborenen Leben eine gewisse Rechtsposition zugestanden hat. Was damit aber deutlich werden soll, ist, dass es unsinnig ist, bei der Frage des ungeborenen Lebens so zu tun, als handle es sich um eine Frage der Beliebigkeit, die sich ausschließlich nach dem Willen der Eltern bzw. der Mutter lösen ließe. Wir fragen uns, wie Hoppe dies mit seinem grundsätzlichen Eintreten für das Naturrecht vereinbaren wollte.
Wie sehr Hoppes Abschied von der Wirklichkeit auch ein Abschied vom Liberalismus ist, ließ sich dann bei seinem Abschlussvortrag in Gummersbach mit dem verheißungsvollen Titel „Strategien der Befreiung” erleben. Der erste Schritt zur Befreiung bestand darin, diejenigen zu hassen, die für den Staat – und damit für alles Unglück dieser Welt – sind. Und das sind in erster Linie die Intellektuellen an staatlichen Universitäten. Diese nämlich bräuchten den Staat, da sie mir ihren Blödsinn auf dem Markt untergehen würden, im Staatswesen aber gut dotierte Stellen haben. Dabei wies Hoppe ausdrücklich darauf hin, dass man bei dem gegen Intellektuelle zu schürenden Hass bewusst auf Vorurteile gegen Intellektuelle in breiten Volksschichten zurückgreifen solle. Ihre Bücher und Aufsätze seien häufig der Lektüre nicht würdig – warum sollte man sie nicht gleich verbrennen, fragen wir uns da. Wir haben diese Ausführungen jedenfalls wir mit großer Verblüffung zur Kenntnis genommen. Herr Hoppe ist einerseits selber Professor an einer staatlichen Universität, andererseits wagen wir zu bezweifeln, dass der Markt für Hoppes Wahrheiten gegenwärtig besonders groß ist, was die vollkommene Irrelevanz seiner Theorie über entsprechende Zirkel hinaus belegt. Dass Herr Hoppe es – anders als der von ihm als „Sozialdemokrat” beschimpfte Hayek – selbst bei solchen minutenlangen Ausführungen an keiner Stelle für nötig hält, diesen seltsamen Widerspruch zwischen seinen Thesen und seiner Stellung auch nur zu bemerken, spricht nicht unbedingt für intellektuelle Redlichkeit. Im übrigen hielte er es für nötig, so Hoppe, dass im Laufe der Auseinandersetzung mit dem staatsintellektuellen Umfeld persönliche Opfer gebracht würden – was wohl als eine Aufforderung zu einer Art libertärem Märtyrertum zu verstehen war. Wenn dem so ist, hat Hoppe allerdings gerade das ihm an seiner Universität angebotene Martyrium abgelehnt. Gleichwohl scheint uns die Einstellung, auf sich alleine gestellt und unter großen persönlichen Aufopferungen für die Wahrheit zu kämpfen, unter verblendeten Radikalen weiter verbreitet zu sein als unter Wissenschaftlern. Aber gleichviel. Wirklich überschritten wurde die Schmerzgrenze, als Hoppe ausführte, dass man die Jugend erreichen müsse, und dies nur mit einfachen, radikalen Thesen möglich sei. Wir fassen zusammen: Die Befreiung erreicht man damit, dass man mit einfachen, radikalen Thesen und unter persönlicher Aufopferung Hass schürt? Offen gestanden: Auf diese Art der Befreiung verzichten wir mit Handkuss. Wie sehr Herr Hoppe sich in diesem denkwürdigen Vortrag auch in der Sprache an totalitäre Rhetorik heranbewegte, scheint uns ein weiterer Beleg, wie weit sich Hoppes Theorie vom echten Liberalismus verabschiedet hat. Bei allem Respekt, aber passagenweise hätte Hoppes Rede auch aus der Feder von Joseph Goebbels stammen können. Der hätte sie aber wenigstens mitreißender vorgetragen, als ein bei aller Radikalität fast von sich selbst gelangweilt wirkender Hans-Hermann Hoppe.
Überhaupt scheint uns der mögliche Brückenschlag zwischen Hoppes anarchokapitalistisch-libertärer „Bewegung” und rechtsextremen Neonazis beängstigend. Wir hatten in der Diskussion die Frage gestellt, ob die Zustimmung zur Wiederveröffentlichung libertärer Aufsätze in Magazinen von Holocaust-Leugnern – wie bereits geschehen – nicht bedenklich ist. Darauf ernteten wir von Hoppe heftigsten Widerspruch: Die Verbreitung libertärer Ideen sei immer richtig, gleich in welchem Kontext. Ein anderer Referent fragte gar zurück, warum denn jemand, der den Holocaust leugnet, zwingend anti-liberal sein müsse. Wir geben zu, dass sich dies rein logisch in der Tat nicht ausschließt. Praktisch jedoch wird der Holocaust von denjenigen geleugnet, die damit die totalitäre Naziherrschaft um ihr größtes Verbrechen reinwaschen wollen und sich somit den Führerstaat zurücksehnen. Dass der Führerstaat jedoch nicht mit liberalen Ideen zu vereinbaren ist, muss hier aber wohl kaum erläutert werden. Insofern finden wir es höchst bedenklich, sich als Liberaler auf eine wie auch immer geartete Kooperation mit Rechtsextremen oder Neonazis einzulassen, und wenn sie nur im Abdruck von Artikeln besteht. Der Liberalismus hat mit dem Totalitarismus nicht das geringste zu tun und kann sich nicht mit ihm verbünden, ohne sich selbst preiszugeben. Hoppe jedoch scheint aus dem schlichten Grunde damit kein Problem zu haben, dass der Feind seines Feindes sein Freund ist, d. h. den Staat bekämpfende Neonazis stehen Hoppe scheinbar näher als auf dem Boden der liberalen Rechtsordnung stehende Demokraten – eine Position, die uns nach wie vor schockiert. Damit sei nicht gesagt, dass Hoppe selbst rechtsradikal sei oder mit solchen Ideen sympathisiere, aber es ist schon verblüffend, wie wenig Berührungsängste er hier zeigt.
Zusammenfassend halten wir Folgendes fest: Der nach Hoppescher Manier überdrehte Liberalismus/Libertarianismus ist methodologisch zweifelhaft hergeleitet. Er ignoriert alles, was nicht in seine simplistischen Grundannahmen passt, und nimmt weder die Realität, noch Erkenntnisse der Nachbardisziplinen zur Kenntnis. Real existierende Probleme werden ausgeblendet oder unter haarsträubenden Vereinfachungen für die Modellwelt passend gemacht. Aus klassisch-liberaler Sicht besonders fragwürdig, ist jedoch die dogmatische und intolerante – man könnte auch sagen: ideologische – Vorgehensweise, die Hoppe in die Nähe eines geradezu autistischen Totalitarismus führt. Hoppe merkt nicht, an welchem Punkt seine Argumentation den Argumentationscharakter verliert und blinde Ideologie wird.
Trotz aller Kritik bleiben wir bei unserer Meinung, dass Hoppe, solange er sich auf die Analyse des Ist beschränkt, häufig die richtigen Fragen stellt und dann auch brauchbare Analysen liefert. Wo Hoppe Recht hat, ist er mit seiner Meinung keineswegs in den Sozialwissenschaften isoliert. Wo Hoppe allerdings mit seiner Meinung weitgehend alleine steht, hat er schlichtweg nicht Recht. Dort argumentiert er wie gesagt ohne jeden Realitätsbezug auf schwankendem methodologischen Grund.
Hoppes Irrtümer halten wir in zweierlei Hinsicht für bedauerlich: Zum einen ist Hoppe ein hochintelligenter und hochgebildeter Ökonom, der aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht bemerkt, wo er den von ihm vertretenen Werten der Freiheit und des Eigentums durch seine Argumentation schweren Schaden zufügt. Dies ist die persönliche Tragik des Hans-Hermann Hoppe. Zum anderen ist es aber auch für die gesellschaftspolitische Diskussion tragisch, denn in einer Zeit, in der wir von krakenhaft um sich greifenden Wohlfahrtsstaaten umgeben sind, täte es gut, wenn Denker wie Hoppe konstruktive Beiträge zur Behebung der drängenden Probleme der Gegenwart lieferten, statt sich in ein anarchokapitalistisches Wolkenkuckucksheim zu flüchten. Aufgrund der aufgezeigten argumentativen Schwächen und Irrtümer des Hans-Hermann Hoppe ist dabei anzunehmen, dass seine Ideen eine Fußnote der sozialphilosophischen Ideengeschichte bleiben werden. Eine effektive Strategie der Befreiung sähe anders aus.
Ass. iur. Bijan Nowrousian, Staatsanwalt in Kiel
Dr. iur. Dipl.-Ök. Oliver Marc Hartwich, International Policy Network, London