So schön kann Koalieren sein

Published in Welt am Sonntag (Berlin), 16 May 2010 (PDF)
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Gastautor Oliver Marc Hartwich beschreibt eine Sensation: In England bilden mitten in der Krise zwei junge, enthusiastische Politiker eine Regierung der Zuversicht. Das ist auch nötig, ist den Briten das Regieren mit Koalitionen nach jahrzehntelanger Abstinenz doch geradezu wesensfremd.

Dass jedem Anfang ein Zauber innewohne, ist eine abgedroschene Weisheit fürs Poesiealbum. Auf die neue britische Regierung trifft sie dennoch zu. Nach drei quälend zähen Jahren unter Gordon Brown feiert das Land einen neuen Politikstil mit Premier David Cameron und seinem Vize Nick Clegg. Seitdem reden selbst professionelle Kommentatoren nicht mehr von Afghanistan, Steuererhöhungen und Haushaltslöchern, sondern reiben sich die Augen über den Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Als Konservativen-Chef Cameron dem Liberaldemokraten Clegg sein Jawort zu einer für britische Verhältnisse ungewöhnlichen Allianz gab, musste er sich einen neuen Lieblingswitz zulegen. Denn der hatte für ihn bis dahin aus den Worten „Nick Clegg“ bestanden. Doch wenn man die frisch Koalitionierten in dieser Woche bei ihren ersten gemeinsamen Auftritten beobachtete, dann war von derlei Geringschätzung nichts mehr übrig.

Zur Pressekonferenz hatten die beiden 43-Jährigen ausgerechnet in den Rosengarten der Downing Street eingeladen. Es sah nach einer der Gartenpartys aus dem Film „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ aus, nur ohne Hugh Grant und Andie MacDowell. Von Grant hat man lange nichts gehört, während MacDowell heute überwiegend mit der Werbung für Anti-Falten-Cremes beschäftigt ist. Aber neben Camerons und Cleggs neuer Politromanze hätten Nebendarsteller ohnehin nur gestört.

Die BBC engagierte eigens eine Psychologin, um die Körpersprache der Nick-&-Dave-Show zu analysieren. Kein Wunder, denn einen derart offenen Austausch von Zärtlichkeiten hatte es unter Spitzenpolitikern im früheren Land der „stiff upper lip“ nicht gegeben. Margaret Thatcher hätte sich wahrscheinlich lieber beide Arme gebrochen, als einen ihrer Kabinettskollegen zu liebkosen, noch dazu in aller Öffentlichkeit.

Ganz anders dagegen Cameron und Clegg. Der Versuch, gemeinsam durch die berühmte Tür zu 10 Downing Street zu gehen, wäre fast daran gescheitert, dass sich beide gegenseitig unablässig auf die Schulter klopften. Wenigstens widerstand Cameron der Versuchung, seinen neuen Partner eigenhändig über die Schwelle zu tragen.

Auch sonst ließen der Premier und sein Vertreter keine Gelegenheit ungenutzt, sich ihrer wechselseitigen Zuneigung zu versichern. Man hätte ja gar nicht geahnt, wie ähnlich man sich sei, war immer wieder zu hören. Wirklich nicht? War es ihnen nie aufgefallen, dass sie schon immer die gleichen Anzüge trugen und sich wohl auch denselben Friseur teilten?

Und stammen nicht beide aus privilegierten Familien, die ihren Söhnen wie selbstverständlich den Besuch von zwei der teuersten Privatschulen des Landes ermöglichten? Feindschaft macht gelegentlich blind, aber dass Cameron und Clegg nun wie bei der Geburt getrennte Zwillinge wirken, hätte ihnen eigentlich nicht entgehen können.

Die britischen Medien jedenfalls, feinfühlig wie sie nun einmal sind, haben in dieser Regierungsdoppelspitze ihr neues Traumpaar entdeckt, das sie nun homoerotisch deuten. Die „Daily Mail“ verglich sie folgerichtig mit den schwulen Cowboys aus „Brokeback Mountain“. Obwohl es reizvoll ist, sich Cameron und Clegg gemeinsam in den Sonnenuntergang von Whitehall reitend vorzustellen, hinkt der Vergleich natürlich. Dafür gab es in den Koalitionsgesprächen einfach viel mehr Dialog als in Ang Lees oscarprämiertem Epos.

Treffender war da die Analyse des „Daily Telegraph“, der Parallelen zum Kriegsfilm „Top Gun“ ausmachte. Das sei einer der „schwulsten Filme der Kinogeschichte, obwohl er sich als heterosexuell versteht“. Er lebe von der Spannung zwischen den Protagonisten, die sich in ihrer Galanterie entlade. Genauso sei es nun zwischen Cameron und Clegg. Sie müssten sich erst daran gewöhnen, die dumpfen Macho-Allüren der Westminster-Politik hinter sich zu lassen und so etwas wie echte Partnerschaft zu entwickeln. Entsprechend befremdlich mag dies dann auf Beobachter wirken.

In der Tat dürfte es vor allem der Vergleich mit dem unpopulären Vorgänger Gordon Brown sein, der den neuen Politikstil von Cameron und Clegg so ungewöhnlich erscheinen lässt. In den dreizehn Jahren seiner Amtszeit als Finanz- und schließlich Premierminister wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn als einen umgänglichen, partnerschaftlich agierenden Politiker zu beschreiben. Er war im Gegenteil als zynischer Taktierer bekannt und als Choleriker gefürchtet. Da konnte sich seine PR-erfahrene Ehefrau Sarah noch so sehr bemühen, ihn menschlicher wirken zu lassen. Brown blieb der schottische Misanthrop, bei dem selbst das Lächeln mechanisch und einstudiert wirkte.

Der Kontrast zur fröhlichen und herzlichen Leichtigkeit des Tändelns von David Cameron und Nick Clegg könnte kaum größer sein. Sie sind in gewisser Weise die wahren Erben der blairschen Revolution, neue Kraft aus der Mitte zu schöpfen. Der eigentliche Grund für ihre so demonstrativ zelebrierte Partnerschaft ist dabei ein ganz praktischer. Sie müssen nämlich die zahlreichen Skeptiker und Radikalen in ihren ehemals verfeindeten Parteien dauerhaft von einer in Großbritannien kulturell nicht oft erprobten Koalition überzeugen, die auch in Amerika Erstaunen erweckt.

Dabei helfen könnten ihnen ihre Ehefrauen. Obwohl die Queen wohl kaum darüber amüsiert ist, hat das Vereinigte Königreich nun nicht nur eine „First Lady“ bekommen, sondern eine „Second Lady“ gleich dazu. Samantha Cameron und Miriam González Durántez dürften sich zwar nach außen auf gelegentliche repräsentative Aufgaben beschränken. Aber das täuscht über ihren tatsächlichen Einfluss hinweg. Beide gehören zu den jeweils engsten Beratern ihrer Ehemänner. Und beide haben eine erfolgreiche berufliche Karriere außerhalb der Politik vorzuweisen.

Wo Franzosen und Amerikaner Carla Bruni-Sarkozy und Michelle Obama als Ikonen feiern, gibt es in Großbritannien nun also gleich ein Doppelpack eigenständiger und attraktiver First Ladies – auch das ein Zeichen des neuen Politikstils auf der Insel.

Es bleibt abzuwarten, ob der Zauber der wundersamen Freundschaft zwischen den Paaren hält, was er verspricht. Zu wünschen wäre es den Briten allemal, dass dies mehr ist als eine bloße Vernunftkoalition. Die anstehenden Aufgaben sind schwierig genug.

Der Autor lebt in Sydney und arbeitete zuvor in einem konservativen Thinktank in London sowie für die Liberaldemokraten im House of Lords.