Mit Vollgas in die Krise
Published in manager-magazin.de (Hamburg), 25 March 2009
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Nicht nur in Europa kriselt es bei den Tochterunternehmen des amerikanischen Autokonzerns General Motors. Auch in Australien steht eine Traditionsmarke vor einer ungewissen Zukunft, selbst wenn die australische Politik das bislang nicht zur Kenntnis nehmen will.
Sydney – Deutschen Touristen, die sich in Sydney einen Mietwagen nehmen, dürfte es wie eine Zeitreise vorkommen. Da werden Autos angeboten, die aus einer Ära zu stammen scheinen, in der noch niemand von schwindenden Rohstoffvorräten oder Klimawandel sprach. Sechs- und Achtzylindermotoren sind die Regel, selbst bei ganz gewöhnlichen Mittelklassewagen.
Auch deren Verbrauchsdaten weit jenseits der Zehn-Liter-Marke erinnern an längst vergangene Zeiten. Das reißt nur deshalb kein Loch in die Urlaubskasse, weil auch die Benzinpreise wie von vorgestern sind. Der Liter kostet an Sydneys Tankstellen umgerechnet gerade einmal 55 Eurocent. So ein Preisniveau hatte es in Deutschland zuletzt im Jahr 1990 gegeben.
Angesichts dieser Benzinpreise nimmt es nicht wunder, dass die australischen Autobauer jahrzehntelang die Entwicklung kleinerer und verbrauchsgünstigerer Fahrzeuge verpasst haben. Sie mussten sich aber ohnehin kaum um innovative Produkte bemühen, da sie die australische Politik mit großzügigen Subventionen bedachte und allerlei Handelshemmnisse zum Schutz vor ausländischen Importen errichtete. Während anderswo auf die gestiegene Nachfrage nach Kleinwagen reagiert wurde, baute man in Australien lieber Altbekanntes: große Familienkutschen, übermotorisierte Pick-ups und hubraumschwangere Geländewagen.
Dass diese Produktpalette nicht mehr zeitgemäß ist, hätten die australischen Produzenten eigentlich längst bemerken müssen. Immerhin verloren sie seit Mitte der 90er Jahre über die Hälfte ihres Marktanteils. Heute ist auf dem fünften Kontinent nur noch jeder vierte verkaufte Neuwagen ‘Made in Australia’.
Die globale Rezession und besonders die Krise der amerikanischen Autobauer könnten nun dafür sorgen, dass aus dem schleichenden Niedergang der australischen Autoindustrie schon bald eine Existenzkrise werden könnte. Denn bei den drei verbliebenen australischen Herstellern handelt es sich jeweils um hundertprozentige Tochterunternehmen von General Motors (GM), Ford und Toyota.
Am besten steht in Australien noch Toyota da. Die Japaner hatten auf die veränderte Nachfrage früher reagiert als die Konkurrenz und ihre Produktpalette um einige Kleinwagen erweitert. So ist der Toyota Camry das einzige in Australien gebaute Mittelklasseauto, für das ein sparsamer Vierzylindermotor erhältlich ist. Auch dank dieser Modellpolitik ist Toyota seit 2003 unangefochtener und profitabler Marktführer in Australien.
Ganz anders ist die Lage bei der GM-Tochter Holden und Ford Australia. Beiden gelang das Kunststück, im boomenden australischen Automarkt der letzten Jahre nicht nur Marktanteile zu verlieren, sondern sogar in absoluten Zahlen weniger Autos zu verkaufen. Ein Blick auf ihre wichtigsten Modelle liefert die Erklärung. Während man den Ford Falcon bestenfalls als lieblos designten Spritschlucker bezeichnen kann, hält der Holden Commodore wenigstens einen echten Rekord: Mit nicht weniger als 20 Rückrufaktionen in gerade einmal neun Jahren ist er das am meisten in die Werkstätten zurückbeorderte Auto der Welt.
Qualitätsprobleme, sinkende Marktanteile und nicht mehr zeitgemäße Produkte bei General Motors Holden und Ford Australia haben die australische Politik auf den Plan gerufen. Im November letzten Jahres stellte Premierminister Kevin Rudd von der Labor-Partei einen ‘New Car Plan for a Greener Future’ vor. Seine Regierung werde in den nächsten Jahren 6,2 Milliarden australische Dollar (rund 3,1 Milliarden Euro) an Subventionen für die Entwicklung verbrauchsgünstigerer Autos bereitstellen. Auch Toyota sollte aus dem Programm Mittel für einen neuen Hybridmotor erhalten, während bei Holden bereits die Entwicklung eines Vierzylinders als revolutionärer Schritt verkündet wurde.
Ob es überhaupt noch dazu kommt, steht jedoch in den Sternen. Die Situation bei der Traditionsmarke Holden ist prekär, die Herausforderungen sind die gleichen wie bei Opel in Deutschland. Über beiden Unternehmen schwebt das Damoklesschwert einer möglichen Insolvenz der Konzernmutter. Die Notkredite der US-Regierung an GM und die desaströse Ertragslage des Konzerns führen dazu, dass mit Transferzahlungen an die australische Tochter vorerst nicht zu rechnen ist. Aus eigener Kraft wird Holden aber nur schwerlich das nötige Kapital für Investitionen in neue Modelle aufbringen können, zumal die Marke seit mehreren Jahren Verluste schreibt.
Dass Holdens Probleme inzwischen dramatische Ausmaße angenommen haben, ist kaum zu übersehen. Das Management hat Gehaltskürzungen von 10 Prozent beschlossen, und an 25 Tagen im ersten Quartal standen die Fließbänder in Holdens Fabrik im südaustralischen Port Elizabeth still. “Wir wollen schließlich keine Autos bauen, die doch niemand kaufen will”, erklärte ein Firmensprecher. Entlassungen könnten somit in den kommenden Monaten unvermeidlich werden, gab Holdens Vorstandschef Mark Reuss denn auch unumwunden zu.
Nur in der australischen Politik hat man den Ernst der Lage noch nicht begriffen. Während sich deutsche Politiker seit Monaten mit Vorschlägen zur Rettung von Opel gegenseitig überbieten, glaubt man in Canberra offenbar immer noch den Beteuerungen aus Detroit. Im Restrukturierungsplan von GM heißt es lapidar, dass Holden eine Zukunft hätte, wenn denn nur die australischen Subventionen weiter gezahlt würden.
Man könnte das Erpressung nennen, auch wenn Industrieminister Kim Carr lieber von einer industriepolitischen Partnerschaft spricht. Für den Fall jedoch, dass GM selbst keine Zukunft hat, hat die australische Regierung keinen Plan B. Beinahe trotzig besteht sie darauf, dass ihr ‘New Car Plan’ alle Probleme der heimischen Automobilindustrie lösen könnte.
Dabei brauchte es eigentlich nicht sonderlich viel Fantasie, um sich die Folgen einer möglichen Insolvenz des US-Autokonzerns für Holden auszumalen. Denn wenn es selbst bei der wesentlich größeren und technologisch besser aufgestellten deutschen GM-Tochter Opel kaum möglich ist, einen privaten Investor zu finden, dann dürfte dies im Fall von Holden mit seinen gerade einmal knapp 7000 Beschäftigten erst recht nicht gelingen.
Sollte GM Insolvenz anmelden, sind die Optionen für Holden somit begrenzt. Eine Verstaatlichung wäre fast die einzige Alternative zur Liquidation. Es sei denn, es gelänge den Australiern, Teil einer neuen europäischen Opel AG zu werden. Zwischen Opel und Holden gibt es schon lange Überschneidungen und Kooperationen. Über die Einführung einer australischen Version des Opel Insignia wird bereits spekuliert, und auch der Opel Ampera soll in Australien als Holden Volt vertrieben werden. Doch selbst dies dürfte nicht ausreichen, um alle Arbeitsplätze bei Holden zu retten.
Europas Industriepolitiker könnten auf einer Zeitreise nach Australien besichtigen, welchen Effekt eine Dauersubventionierung der Autoindustrie auf deren Wettbewerbsfähigkeit hat. Nach Jahrzehnten, in denen sie Autos aus der automobilen Steinzeit produziert haben, gibt es wohl zumindest für GM Holden kein Zurück in die Zukunft. Nur wer sagt es dem Premierminister?