Nicht schwarz, nicht weiss

Published in Neue Zürcher Zeitung (Zurich), 8 June 2011

Genügt ein Schuss Aborigine-Blut, um für die Urbevölkerung Australiens zu sprechen? In Australien hat eine Kolumne die «weissen Aborigines» so bissig exponiert, dass diese gegen den Autor Anklage erhoben. Damit verschärfte sich die Frage, ob eine städtische Elite, die sich auf eine partiell indigene Abstammung berufen kann, die Ureinwohner adäquat wahrnimmt und repräsentiert.

Nein, die üblichen Stereotype einer australischen Ureinwohnerin erfüllt sie sicher nicht. Sie lebt nicht im entlegenen Outback, ihre Hautfarbe ist nicht sonderlich dunkel, und ihr Name klingt eher mitteleuropäisch als zentralaustralisch. Und doch steht die Juraprofessorin Larissa Behrendt, die sich selbst als Aborigine bezeichnet, im Mittelpunkt bitterer Kontroversen über die Stellung der australischen Eingeborenen.

Behrendt, Jahrgang 1969, wuchs in einem weissen Mittelklasse-Vorort von Sydney auf. Ihre Grossmutter väterlicherseits war eine Ureinwohnerin, die einen deutschen Einwanderer geheiratet hatte. Die Familie von Behrendts Mutter wiederum ist weisser Abstammung. Im Einwanderungsland Australien sind solche bunten Familienverhältnisse an und für sich nichts Besonderes, und die wenigsten Australier kämen wohl auf die Idee, sich aus einem Teil ihrer Abstammung eine die Persönlichkeit definierende Identität zurechtzulegen.

Bei Larissa Behrendt ist das anders. Seit ihrem Jurastudium ist sie auf Rechtsfragen der australischen Ureinwohner spezialisiert. Dabei geht es ihr um Landreform, Bodenrechte und soziale Gerechtigkeit. Auch einen Roman über das Schicksal der Aborigines hat sie geschrieben. Ihr privates und berufliches Umfeld – Larissa Behrendt lebt mitten in Sydney und hat dort eine Professur an der University of Technology inne – hat hingegen etwa so viel mit der Lebenswirklichkeit der Aborigines im australischen Outback zu tun wie ein Herzchirurg mit einem Medizinmann. Das hindert Behrendt jedoch nicht daran, sich selbst als Vertreterin der australischen Ureinwohner in Szene zu setzen.

Wollte man es gehässig formulieren, dann könnte man sagen, dass Larissa Behrendt aus ihrer Herkunft eine Karriere gemacht hat. Doch es ist ebendieser Vorwurf, gegen den Behrendt und einige andere urbane Aborigines zurzeit gerichtlich vorgehen. Erhoben hatte ihn der Journalist Andrew Bolt. Bolt, der einst für die Regierung des sozialdemokratischen Premiers Bob Hawke gearbeitet hatte, gehört heute zu den profiliertesten konservativen Kommentatoren Australiens. In einer seiner Kolumnen berichtete Bolt vor nunmehr über zwei Jahren unter der Überschrift «White is the new black» von einem neuen Trend. Im politischen Bereich gebe es immer mehr Aborigine-Aktivisten, denen man kaum ansehen könne, dass sie eine verwandtschaftliche Beziehung zu Australiens Ureinwohnern hätten. Es handele sich dabei um Australier, die sich mit derselben oder gar grösserer Berechtigung englisch, jüdisch, deutsch oder österreichisch nennen könnten.

Dass sie es nicht tun, sondern sich als Aborigines bezeichnen, führte Bolt darauf zurück, dass dies die einzige Identität sei, auf der sich in Australien eine Karriere errichten lasse; anhand von Beispielen legte er dar, in welcher Form die selbsternannten Aborigine-Aktivisten von der Berufung auf ihren ethnischen Hintergrund profitiert hatten. Unter den solchermassen Angegriffenen war auch Larissa Behrendt. Sie und einige andere «weisse» Aborigines verklagten daraufhin Andrew Bolt auf Grundlage eines Gesetzes gegen Rassenverunglimpfung. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrte, hatte doch Bolt in seiner Kolumne dazu aufgerufen, von alten ethnischen Konflikten endlich loszukommen. Er schrieb: «Lasst uns den Rassenstolz überwinden, lassen wir Schwarz und Weiss hinter uns. Seien wir doch einfach stolz darauf, Menschen zu sein, die zusammen in diesem Land leben . . .»

Für Behrendt und ihre Mitstreiterinnen schien aber genau das keine Option zu sein, und so endete die Angelegenheit vor Gericht; das Verfahren ist zurzeit noch nicht abgeschlossen. Wie auch immer der Prozess ausgeht, er dürfte noch weitere Instanzen beschäftigen, denn es prallen die freie Meinungsäusserung des Journalisten Bolt und die angeblich verletzte Ehre der Kläger aufeinander. Es ist ein Grundsatzstreit für das moderne Australien. Wie sehr sich die städtischen Aborigines dabei von den Ureinwohnern im Outback entfernt hatten, wurde noch während der Beweisaufnahme im Bolt-Prozess deutlich. In einer Fernsehdiskussion der australischen ABC trat Bess Nungarrayi Price auf. Price, im entlegenen Dorf Yuendumu geboren, kommt mit ihrem lockigen braunen Haar und ihrer breiten Nase zumindest optisch den Vorstellungen von einer typischen Aborigine-Frau wesentlich näher als Behrendt. Price hatte sich, aus einfachsten Verhältnissen kommend, durch Bildung einen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht. Heute arbeitet sie vor allem für die Eindämmung des Alkoholismus und für Gewaltprävention in Aborigine-Gemeinden. In der Fernsehsendung erklärte Price, warum sie die Massnahmen der Regierung unterstützt, gegen Gewalt und sexuellen Kindesmissbrauch in entlegenen Aborigine-Siedlungen auch militärisch vorzugehen. Sie kennt diese Probleme schliesslich aus eigener Anschauung.

Noch während der Sendung erklärte Larissa Behrendt via Twitter, was sie von Price’ Einlassungen hielt. Sie habe einmal gesehen, wie ein Mann Sex mit einem Pferd gehabt habe, und dies sei nicht so widerlich gewesen wie Bess Price, schrieb Behrendt. Vielleicht kam darin die Frustration darüber zum Ausdruck, dass es eine Ureinwohnerin wagte, eine andere Meinung über die Aborigine-Politik zu haben als sie selbst. Es hatte jedoch zur Folge, dass sich Behrendt förmlich bei Price für ihre Wortwahl entschuldigen musste.

Der Vorfall warf ein ganz neues Licht auf den Rechtsstreit mit Andrew Bolt. Er hatte schliesslich insinuiert, dass die weissen Aborigine-Aktivisten im Grunde vor allem ihre eigene Agenda verfolgten, die mit den eigentlichen Problemen der entlegenen Siedlungen nicht unbedingt etwas zu tun habe. Bolt verzichtete allerdings auf einen entsprechenden Hinweis: Seine Anwälte haben ihm dringend von jeglicher Äusserung zur Aborigine-Problematik während des laufenden Verfahrens abgeraten. Früher einmal wurden die schwarzen Aborigines in den entlegenen Ecken Australiens von weissen Bürokraten entrechtet und bevormundet. Heute haben diese Rolle die beinahe ebenso weissen Aborigine-Aktivisten aus den Städten übernommen. Der Idee Andrew Bolts, die alten Rassenklischees hinter sich zu lassen, ist Australien damit keinen Schritt näher gekommen.