Lichtgestalt aus Mittelerde

Published in Weltwoche (Zurich), 19 November 2015 (PDF)

John Key hat das Zeug zum globalen Politstar. Seit sieben Jahren steht er an der Spitze Neuseelands. Als Banker verdiente er ein Vermögen. Als Premier verkörpert er mit seiner selbstironischen Art den neuseeländischen Normalbürger. Blick auf ein Phänomen am Ende der Welt.

johnkeySpätestens seit der Verfilmung von «Der Herr der Ringe» gilt Neuseeland mit seinen grünen Hügel, erloschenen Vulkanen, hohen Bergen als das real existierende Mittelerde. Man weiss vielleicht auch noch, dass die Rugby-Nationalmannschaft All Blacks kürzlich ihren zweiten Weltmeistertitel in Folge feiern konnte. Ansonsten werden mit Neuseeland hochwertige Lebensmittel wie Lammfleisch, Kiwis und exzellente Sauvignon blancs in Verbindung gebracht.

All das ist richtig, und so könnte man bei dem Postkarten-Image beinahe annehmen, dass dieses exotische Traumland von freundlichen Hobbits regiert wird. Die Realität ist noch besser: Seit nunmehr sieben Jahren führt Premierminister John Key von der konservativen Nationalpartei die Regierungsgeschäfte. Wäre Neuseeland nicht so ein kleines Land am Ende der Welt, wäre Key ein globaler Polit-Star. So aber ist Key nur in Neuseeland weltberühmt.

Der 1961 geborene Key ist in mehrfacher Hinsicht ein Phänomen. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte er zunächst eine beachtliche Bankkarriere in Auckland, Sydney, Singapur und London hingelegt. Hätte es ihn nicht in die Politik gezogen, wäre Key heute wohl längst Chef einer multinationalen Grossbank. Aber auch so wird sein Nettovermögen auf über dreissig Millionen Franken geschätzt.

Dass jemand mit so einem privatwirtschaftlich erfolgreichen Lebenslauf in die Politik wechselt, ist höchst ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist höchstens der Erfolg, den John Key, der Politiker, damit hatte.

Am wenigsten überraschend ist vielleicht noch, dass es Key, kaum im Parlament angelangt, innerhalb kürzester Zeit zum Parteichef brachte. Wo andere Politiker die Ochsentour absolvieren, wählte Key den Turbo-Seiteneinstieg. Erst im Jahr 2002 wurde er überhaupt Abgeordneter, war dann ab 2006 Oppositionsführer und regiert nunmehr seit 2008 als Premierminister. Viel schneller kann man im politischen Betrieb nicht aufsteigen – nicht einmal im kleinen Neuseeland.

Was Key aber wirklich aussergewöhnlich macht, ist seine Popularität. Das wohlhabendste Regierungsmitglied Neuseelands ist auch der beliebteste Politiker. Key gilt, seiner Karriere zum Trotz, nicht nur einfach als volksnah, sondern quasi als volksidentisch. Key spricht nicht wie ein Multimillionär, der auch noch Premierminister geworden ist. Im Gegenteil, er verkörpert mit seiner unprätentiösen, bodenständigen und selbstironischen Art geradezu den neuseeländischen Normalbürger.

Mit Key kommt jedermann gleich gut aus. Mit US-Präsident Barack Obama verbrachte er seinen letzten Weihnachtsurlaub golfend auf Hawaii. Queen Elizabeth II. gewährte ihm die seltene Ehre, mit der Familie auf Schloss Balmoral ein paar Tage zu verbringen. Trotzdem fliegt Key in Neuseeland Economy Class (der neuseeländische Premierminister verfügt über keinen Regierungsjet), lässt sich von Radiointerviewern bereitwillig durch den Kakao ziehen und hat auch sonst keine Probleme damit, «normal» zu sein.

Warum Key überhaupt nach Neuseeland zurückgekehrt ist und nicht seine internationale Karriere fortsetzte, hat er einmal so erklärt: Seine Kinder waren bei seiner Rückkehr sechs und acht Jahre alt und kannten ihr Heimatland so gut wie nicht. Key wollte aber, dass sie in Neuseeland aufwachsen. Zweitens zog es ihn immer schon in die Politik, und er wollte sich nicht später einmal vorwerfen müssen, es nicht wenigstens versucht zu haben. Und drittens konnte er es sich schlichtweg leisten: «Gut, wir hätten noch ein paar Dutzend weitere Millionen verdienen können, aber wir hatten einfach genug.»

Es ist diese finanzielle Unabhängigkeit, die Keys Erfolg zu einem guten Teil erklärt. Key kann es sich leisten, sich nicht verbiegen zu müssen. Seine persönliche Zukunft hängt nicht davon ob, wie lange er noch im Amt bleibt. Er hatte schon lange ausgesorgt, bevor er in die Politik wechselte.

Key profitiert von seiner Zeit als Topbanker jedoch nicht nur in finanzieller Hinsicht. Er hat aus der internationalen Geschäftswelt auch einen grossen Management-Erfahrungsschatz mitgenommen, den er nun in der neuseeländischen Politik anzuwenden weiss.

Ein enger Mitarbeiter des Premierministers beschrieb dessen Umgang mit seinen Kabinettsmitgliedern einmal wie folgt: Für jene Mitglieder des Kabinetts, die gut und erfolgreich arbeiten, gibt es seitens Keys kaum Weisungen. Er lässt sie einfach ihren Job machen.

Für andere Minister, die etwas mehr Führung brauchen, nimmt sich Key Zeit, ihnen klare Zielvorgaben und Handlungsanweisungen zu geben. Für jene Regierungsmitglieder, die trotz allem keine Leistung erbringen, ist die Zeit am Kabinettstisch fast schon vorbei.

Aus der Privatwirtschaft brachte Key auch das Konzept der Key Performance Indicators (KPIs) mit. Normalerweise wird anhand von KPIs der Erfolg von Managern definiert. Bei Key gibt es KPIs für alle Minister, die ihm halbjährlich Rechenschaft ablegen müssen. Für die meisten Unternehmen ist das eine Selbstverständlichkeit; im politischen Bereich aber ist es noch ziemlich ungewöhnlich.

Key führt seine Regierungsmannschaft somit straff und effizient. Aber er hat es auch geschafft, mit seiner Politik den Zuspruch der Bevölkerung nicht zu verlieren – und dies, obwohl unter seiner Führung Neuseeland Schritt für Schritt reformiert wird.

Um es klar zu sagen: Key gehört nicht zu den ökonomischen Grossreformern und politischen Überzeugungstätern wie Margaret Thatcher oder Ronald Reagan. Letztere hinterliessen Thatcherismus und Reaganomics; aber es wird wohl weder Keyismus noch Keyonomics geben. Das heisst aber nicht, dass John Key wirtschaftspolitisch untätig ist. Er führt allerdings seine Reformen ein, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Keys Reformen sind geräuschlos und langsam, aber sie sind wirksam.

Keys politisches Erfolgsgeheimnis besteht in seiner Geduld. Bei ihm müssen nicht immer alle Reformvorhaben sofort und gleichzeitig angegangen werden. Wichtiger ist ihm, dass die Bevölkerung zunächst von der Notwendigkeit von Reformen überzeugt wird. Kaum etwas passiert in Keys Neuseeland, ohne dass zuvor politischer Konsens darüber hergestellt worden wäre. Dies erfordert teils langwierige Vorbereitungen. Es braucht zudem die Bereitschaft zu Pragmatismus und ein gutes Mass an Kompromissfähigkeit. Aber am Ende gewährleistet diese Strategie nicht nur den Erfolg der Reformen, sondern auch die andauernde Popularität der Regierung.

Das beste Beispiel für Keys wirtschaftspolitischen Reformstil sind die Sozialstaatsreformen, die seine Regierung von 2008 bis 2014 in Angriff genommen hat. In Keys erster dreijähriger Amtszeit wurde eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Reform des Sozialstaats betraut.

Heraus kamen Vorschläge, die in ihrer Radikalität selbst die deutschen Hartz-Reformen weit hinter sich liessen. Der neuseeländische Sozialstaat sollte einer Rosskur unterzogen, Leistungsempfänger sollten schneller wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Normalerweise hätten solche Reformen die meisten Regierungen aus dem Amt katapultiert. Nicht so die Regierung von John Key. Mit Paula Bennett hatte er als verantwortliche Ministerin eine frühere Sozialhilfeempfängerin installiert, die als Teenager Mutter geworden war. Bennett konnte aus eigener Erfahrung glaubwürdig erklären, warum der Sozialstaat nur ein Sicherheitsnetz, aber keine Hängematte sein sollte.

Am Ende hatten die gute Vorbereitung durch die Reformkommission und die Persönlichkeit Paula Bennetts den gewünschten Effekt: Die Reformen, die Key vor seiner ersten Wiederwahl in Aussicht stellte, waren plötzlich nicht nur unumstritten, sondern nachgerade populär.

Ohne grössere politische Verwerfungen schaffte es Key, den Haushalt zu sanieren, die Einkommenssteuer zu senken, Charterschulen einzuführen und Freihandelsabkommen in der Region abzuschliessen. Ganz nebenbei wurde er auch noch Präsident der Internationalen Demokratischen Union, der globalen Vereinigung konservativer Parteien.

Auch nach sieben Jahren im Amt bleibt John Key ein Phänomen. Wie kein anderer Regierungschef hat er es geschafft, einen privatwirtschaftlich geprägten Regierungsstil zu etablieren, ohne im Geringsten an Popularität einzubüssen. Und er zeigt, dass Reformen immer noch möglich sind – wenn sie nur effizient verkauft werden.

In Mittelerde gibt es nicht nur Hobbits, Hügel und Vulkane, sondern auch den wohl erfolgreichsten Regierungschef der westlichen Welt. Schade, dass ausserhalb Neuseelands kaum jemand je von ihm gehört hat.

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