Freie Bauern, freies Neuseeland

Published in Liberal (Berlin), 28 February 2016 (PDF)

nz-sheepZur Einleitung eine Anekdote: Kürzlich, bei einem Abendessen mit Premierminister John Key, wandte sich der Botschafter eines Industrielandes hoffnungsfroh an den Regierungschef. Warum es denn immer noch kein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Ländern gäbe, wollte er wissen. Es sollte doch wirklich eigentlich keine größeren Hindernisse für den freien Handel geben, meinte der Diplomat. „Natürlich gibt es die nicht“, erwiderte der Neuseeländer, „wenn ihr denn endlich auch eure Landwirtschaft liberalisiert – so wie wir.“

Unter den entwickelten Volkswirtschaften der Welt nimmt Neuseeland eine Sonderstellung ein. Es ist das einzige Land, in dem die Landwirtschaft vollständig ohne Subventionen, Exporthilfen oder Schutzzölle auskommt. Neuseelands Agrarwirtschaft funktioniert so, wie Adam Smith es sich gewünscht hätte: nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage.

Das war nicht immer so. Das war nicht immer so. Bis Anfang der 1980er-Jahre sah es in dem kleinen Pazifikstaat nicht anders aus als in Europa oder Amerika. Neuseeländische Bauern hingen am Tropf des Staates. Etwa 40 Prozent ihres Einkommens erzielten sie nicht durch den Verkauf ihrer Erzeugnisse, sondern durch Subventionen.

Doch dann schlitterte Neuseeland in eine kombinierte Staats-, Wirtschafts- und Haushaltskrise. Die frisch gewählte Regierung der Labour-Partei hatte die Wahl. Sie konnte zusehen, wie ihr Land in den Staatsbankrott rutschte. Oder sie konnte Neuseeland radikal reformieren. Die führenden Politiker der damaligen Zeit um Premierminister David Lange und Finanzminister Roger Douglas entschieden sich für einen beispiellosen Reformkurs.

Als eine der ersten Maßnahmen ihrer Regierung strichen sie die Landwirtschaftssubventionen. Sie reduzierten sie nicht einfach. Nein, sie schafften sie komplett ab – über Nacht.

Nun mag bei der damaligen Entscheidung durchaus Parteikalkül Pate gestanden haben. Die Bauernschaft gehörte noch nie zu den Labour-Stammwählern. Insofern konnte man dort vergleichsweise gefahrlos Leistungen kürzen, denn viel zu verlieren gab es dort für die nominell „linke“ Regierung ohnehin nicht. Mutig war es dennoch, denn niemand wusste, wie die neuseeländische Landwirtschaft diese Schocktherapie überstehen würde.

Zur allgemeinen Verblüffung ging die Welt nicht unter, als die Subventionen gestrichen wurden. Gerade einmal ein Prozent der Agrarbetriebe verschwand vom Markt. Die übrigen 99 Prozent hingegen überlebten nicht einfach nur, sondern sie nahmen die Herausforderungen der Marktwirtschaft an. Heute gehört die neuseeländische Landwirtschaft zu den produktivsten der Welt.

An ein paar Kennzahlen kann man den Erfolg der Agrarliberalisierung am besten ablesen. Seit 1986 ist die Produktivität der neuseeländischen Landwirtschaft um durchschnittlich 5,9 Prozent gestiegen – pro Jahr. Stolze 73 Prozent der neuseeländischen Exporterlöse stammen aus dem Agrarsektor, was für ein hoch entwickeltes Industrieland ein ausgesprochen ungewöhnlicher Wert ist. Die Landwirtschaft trägt sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Das kleine Land mit seinen gerade einmal viereinhalb Millionen Einwohnern produziert heute genug Lebensmittel, um 24 Millionen Menschen zu ernähren. Dementsprechend werden 95 Prozent aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse exportiert, was Neuseeland unter anderem zum weltweit größten Exporteur von Milch und Lammfleisch gemacht hat. Ja, andere Länder mögen eine insgesamt größere Landwirtschaft haben, aber diese produzieren im Wesentlichen für den eigenen Bedarf. Neuseeland hingegen exportiert.

Was vielleicht noch erstaunlicher ist: Die Bauernschaft selbst hat die Liberalisierung nicht etwa klagend über sich ergehen lassen, sondern ist heute ein aktiver Befürworter des marktliberalen Kurses.

Anders Crofoot, der Vizepräsident des neuseeländischen Bauernverbands Federated Farmers, drückte es wie folgt aus: „Die Abschaffung der Landwirtschaftssubventionen legte den Grundstein für eine lebendige, diversifizierte und wachsende ländliche Wirtschaft.“ Heute gehört Federated Farmers zu den aktivsten Befürwortern nicht nur des freien Marktes in der Landwirtschaft, sondern auch des internationalen Freihandels mit Agrarprodukten.

Neuseelands Bauern haben durch den Wegfall der Subventionen nicht nur gelernt, effizienter zu wirtschaften. Sie haben es auch verstanden, mehr auf ihre Kunden zu hören und sich bei ihren Produkten stärker nach der Nachfrage zu richten.

Neuseelands Politik wiederum bemüht sich seit den 1980er-Jahren um eine Liberalisierung des weltweiten Agrarhandels. Einen Meilenstein dabei stellt das kürzlich ausgehandelte transpazifische Freihandelsabkommen TPP dar.

Für Handelsminister Tim Groser könnte TPP die Initialzündung für eine Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten sein: „Der Grund, warum die neuseeländische Landwirtschaft heute so stark ist, liegt darin, dass sie dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt war.“ Der typische Protektionismus anderer Länder verwandle die Landwirtschaft hingegen in eine Art Freilichtmuseum, so Groser.

Für europäische oder nordamerikanische Beobachter mag Neuseelands Landwirtschaftsliberalismus merkwürdig erscheinen. Auf der Nordhalbkugel scheint man Schwierigkeiten damit zu haben, sich überhaupt einen freien, subventionsunabhängigen Agrarsektor vorzustellen. Selbst geringfügige Leistungskürzungen für europäische Bauern führen gewöhnlich zu lautstarken Protesten, Traktorblockaden und politischem Druck auf Entscheidungsträger.

Dass es nicht so sein muss, das zeigt das Beispiel Neuseeland. In Neuseeland ist die Landwirtschaft ein Sektor der Volkswirtschaft wie jeder andere. Sie hat sich dem Wettbewerb zu stellen, auf Preissignale zu reagieren und die Qualitätsanforderungen der Konsumenten zu beachten. Dies alles funktioniert nicht nur vergleichsweise reibungslos, sondern hat den Sektor insgesamt zu höherer Produktivität und Effizienz geführt.

Welche Ironie, dass in Freihandelsverhandlungen mit anderen Industrieländern nun ausgerechnet die liberale neuseeländische Landwirtschaftspolitik ein Hindernis für eine größere Marktöffnung zu sein scheint.

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